(Ausgabe 4; Juni 2021)
Von Alban Löffler
Auf aber auch gerade neben dem Platz schreibt jede Europameisterschaft ihre ganz eigenen Geschichten, die neben spannenden Spielen und schönen Toren den Reiz dieser Veranstaltungen ausmachen. Hier sind ein paar für Euch zusammengestellt:
1960: Bei der ersten Europameisterschaft überhaupt, die damals noch unter dem Namen „Europäischer Nationen Cup“ läuft, hat die UEFA zunächst Schwierigkeiten, überhaupt genügend Teilnehmer zu finden. Erst nachdem die Anmeldefrist noch einmal um vier Monate verlängert wird, finden sich die benötigten 17 Mannschaften zusammen. Deutschland verzichtet, Trainer Sepp Herberger sieht darin eine unnötige Zeitverschwendung angesichts des ohnehin schon vollen Terminkalenders.
Neben fehlenden Mannschaften stellt der damals herrschende Kalte Krieg ein Problem dar: Im Viertelfinale trifft, wie es das Schicksal so will, das faschis-tische Spanien auf die kommunistische UdSSR. Das Los soll den spanischen Diktator Francesco Franco zu einem Wutanfall gebracht haben, hatte der ideologische Feind doch noch gut zwanzig Jahre zuvor im spanischen Bürgerkrieg Francos linke Gegner unterstützt.
Schlussendlich ordnet er an, nicht gegen die UdSSR anzutreten. Diese kommt also kampflos ins Halbfinale weiter und gewinnt am Ende sogar die Endrunde. Besonders bitter ist das für die begnadeten Spanier um Alfredo di Stefano, denen so die Chance auf einen großen Titel mit der Nationalmannschaft verwehrt bleibt.
1968: Im Halbfinale der EM 1968 in Italien steht es auch nach 120 Minuten zwischen dem Gastgeber und der Sowjetunion 0:0. Heutzutage ein klarer Fall für Elfmeterschießen, doch dieser Entscheidungsmodus wird erst ein paar Jahre später vom bayerischen Schiedsrichter Karl Wald erfunden. Also bittet der Unparteiische die beiden Verbandspräsidenten zum Münzwurf in die Schiedsrichterkabine, um eine Entscheidung herbeizuführen. Sie müssen zwischen einem Tor-Emblem auf der Vorder- und einem Ball auf der Rückseite der Münze wählen. Der Italiener entscheidet sich für „Tor“ und gewinnt damit kurz darauf den Münzwurf, Italien zieht ins Finale ein und wird später Europameister.
Weil daraufhin viele eine gerechtere Möglichkeit fordern, um einen Sieger zu ermitteln und es ein paar Jahre später tatsächlich zu einer Änderung kommen soll, gilt dieses Spiel auch als die Geburtsstunde des Elfmeterschießens.
Kurios dabei: Der Verbandspräsident der Sowjetunion hatte zuvor noch um einem Probewurf gebeten, bei dem „Ball“ gewonnen hätte…
1992: Wahrscheinlich die größte Überraschung überhaupt, die es je bei einer EM gab: Dänemark besiegt Deutschland im Finale mit 1:0 und wird damit Europameister.
Dabei können sich die Dänen zuvor gar nicht für die EM qualifizieren, sie profitieren von dem Ausschluss von der Mannschaft Jugoslawiens, die aufgrund des Bürgerkriegs in ihrem Land nicht antreten darf. Als Nachrücker wird der zweite der Qualifikations-Gruppe der Sowjetunion, Dänemark, ausgewählt, dessen Spieler sich schon auf einen längeren Sommerurlaub eingestellt haben.
Doch trotz der kurzen Vorbereitung von nur zehn Tagen überzeugt die Mannschaft von Trainer Molle Nielsen und darf zur Überraschung ganz Europas am Ende sogar den Pokal in die Höhe stemmen.
Geholfen hat dabei wohl McDonald´s, dem das dänische Team kurz vor dem Halbfinale gegen die Niederlande einen Besuch abstattet. Aber auch die Party nach dem Sieg gegen die Elftal, bei der alkoholische Getränke fließen, scheint die Moral der Dänen nur gefördert zu haben. In heutigen Zeiten von Ernährungsberatern, Teamköchen usw. nicht mehr vorzustellen.
1996: Zweites Gruppenspiel der EM 1996: England – Schottland, Spielstand bis zur 78. Minute 1:0, dann bekommt Schottland einen Elfmeter und damit die Chance mit dem Rivalen gleichzuziehen. Doch während sich der Schotte McAllister den Ball zurechtlegt, fliegt über dem Wembley-Stadion ein Helikopter, in dem sich der Magier und Illusionist Uri Geller im Auftrag der englischen Zeitung „News of the World“ befindet. Er soll nämlich durch seine übernatürlichen Kräfte das Spiel zugunsten der Engländer beeinflussen, die auch schon im ersten Gruppenspiel wenig überzeugend waren. Beim Elfmeter sieht er nun seine Chance gekommen und versucht Einfluss auf den Ball zu nehmen. Und tatsächlich, der Schotte macht den Elfmeter nicht rein und auf TV-Bildern ist eine Bewegung des Balles kurz vor dem Schuss zu erkennen (eine andere Erklärung dafür ist natürlich ausgeschlossen).
Nach dem Sieg läuft es dann für England, sie schaffen es bis ins Halbfinale, wo sie erst im Elfmeterschießen gegen Deutschland scheitern.
Später entschuldigt sich Geller sogar noch, da er hier ja illegal auf ein Spiel Einfluss genommen habe.
2008: Elfmeterschießen bei einer Europameisterschaft? Nichts Besonderes, gehört dieser Modus doch in der K.O.- Phase mit zu den spannendsten Momenten, die eine EM zu bieten hat. Dass es in einer Gruppenphase dazu kommen kann, hätten aber wohl die wenigsten erwartet. Tatsächlich gibt es eine Regel der UEFA, die das ermöglicht, wenn beide Mannschaften nach Ende der Gruppenphase punkt- und torgleich sind und dann noch gerade ihr letztes Spiel gegeneinander hatten, also nicht extra fürs Elfmeterschießen anreisen müssen. Und genau das wäre fast bei der EM 2008 passiert, als die punkt- und torgleichen Tschechen und Türken im letzten Spiel der Gruppe A gegeneinander antreten. Erst der Treffer von Nihat Kaveci in der 89. Minute zum 3:2 für die Türkei verhindert das – Schade eigentlich…
2016: Ein Nordire wird weltberühmt bei Fußballfans, obwohl er bei der EM 2016 keinen einzigen Einsatz hat und eigentlich für einen englischen Drittligisten auf Torjagd geht. Geschafft hat das William Grigg oder auch einfach nur Will, wie er in dem Lied genannt wird, das ihm zu unverhoffter Bekanntheit verholfen hat. Gedichtet wurde „Will Grigg´s on fire“ (Melodie „Freed from Desire“) von den Fans von Wigan Athletic, die damit ihren 25-Tore-Stürmer der Saison 2015/16 besingen. Schnell geht das Lied gerade bei den Nordirischen Fans viral, wird von den Anhängern in den Stadien gegrölt und avanciert zu dem Kultsong der EM 2016. Und Will Grigg? Der muss sich das Geschehen während des Turniers von der Bank aus anschauen.
2020/21: Schon bevor das Turnier überhaupt losgeht, hat diese EM schon Geschichten geschrieben wie keine andere. Erst die pandemiebedingte Verschiebung ins Jahr 2021 und jetzt auch noch die Diskussion darüber, wie diese EM ausgetragen werden soll. Denn die UEFA um ihren Präsidenten Aleksander Ceferin forderte von den Austragungsorten Garantien, dass die Spiele vor Zuschauern ausgetragen werden, und schloss Geisterspiele von vornherein aus. Somit die kurioseste (aber leider nicht witzigste) Geschichte zum Abschluss: Zum Redaktionsschluss war geplant, dass in Budapest vor vollem Haus gespielt wird, während in Europa weiter ein gefährliches Virus sein Unwesen treibt.
(Ausgabe 4; Juni 2021)
Von Alban Löffler
Auf aber auch gerade neben dem Platz schreibt jede Europameisterschaft ihre ganz eigenen Geschichten, die neben spannenden Spielen und schönen Toren den Reiz dieser Veranstaltungen ausmachen. Hier sind ein paar für Euch zusammengestellt:
1960: Bei der ersten Europameisterschaft überhaupt, die damals noch unter dem Namen „Europäischer Nationen Cup“ läuft, hat die UEFA zunächst Schwierigkeiten, überhaupt genügend Teilnehmer zu finden. Erst nachdem die Anmeldefrist noch einmal um vier Monate verlängert wird, finden sich die benötigten 17 Mannschaften zusammen. Deutschland verzichtet, Trainer Sepp Herberger sieht darin eine unnötige Zeitverschwendung angesichts des ohnehin schon vollen Terminkalenders.
Neben fehlenden Mannschaften stellt der damals herrschende Kalte Krieg ein Problem dar: Im Viertelfinale trifft, wie es das Schicksal so will, das faschis-tische Spanien auf die kommunistische UdSSR. Das Los soll den spanischen Diktator Francesco Franco zu einem Wutanfall gebracht haben, hatte der ideologische Feind doch noch gut zwanzig Jahre zuvor im spanischen Bürgerkrieg Francos linke Gegner unterstützt.
Schlussendlich ordnet er an, nicht gegen die UdSSR anzutreten. Diese kommt also kampflos ins Halbfinale weiter und gewinnt am Ende sogar die Endrunde. Besonders bitter ist das für die begnadeten Spanier um Alfredo di Stefano, denen so die Chance auf einen großen Titel mit der Nationalmannschaft verwehrt bleibt.
1968: Im Halbfinale der EM 1968 in Italien steht es auch nach 120 Minuten zwischen dem Gastgeber und der Sowjetunion 0:0. Heutzutage ein klarer Fall für Elfmeterschießen, doch dieser Entscheidungsmodus wird erst ein paar Jahre später vom bayerischen Schiedsrichter Karl Wald erfunden. Also bittet der Unparteiische die beiden Verbandspräsidenten zum Münzwurf in die Schiedsrichterkabine, um eine Entscheidung herbeizuführen. Sie müssen zwischen einem Tor-Emblem auf der Vorder- und einem Ball auf der Rückseite der Münze wählen. Der Italiener entscheidet sich für „Tor“ und gewinnt damit kurz darauf den Münzwurf, Italien zieht ins Finale ein und wird später Europameister.
Weil daraufhin viele eine gerechtere Möglichkeit fordern, um einen Sieger zu ermitteln und es ein paar Jahre später tatsächlich zu einer Änderung kommen soll, gilt dieses Spiel auch als die Geburtsstunde des Elfmeterschießens.
Kurios dabei: Der Verbandspräsident der Sowjetunion hatte zuvor noch um einem Probewurf gebeten, bei dem „Ball“ gewonnen hätte…
1992: Wahrscheinlich die größte Überraschung überhaupt, die es je bei einer EM gab: Dänemark besiegt Deutschland im Finale mit 1:0 und wird damit Europameister.
Dabei können sich die Dänen zuvor gar nicht für die EM qualifizieren, sie profitieren von dem Ausschluss von der Mannschaft Jugoslawiens, die aufgrund des Bürgerkriegs in ihrem Land nicht antreten darf. Als Nachrücker wird der zweite der Qualifikations-Gruppe der Sowjetunion, Dänemark, ausgewählt, dessen Spieler sich schon auf einen längeren Sommerurlaub eingestellt haben.
Doch trotz der kurzen Vorbereitung von nur zehn Tagen überzeugt die Mannschaft von Trainer Molle Nielsen und darf zur Überraschung ganz Europas am Ende sogar den Pokal in die Höhe stemmen.
Geholfen hat dabei wohl McDonald´s, dem das dänische Team kurz vor dem Halbfinale gegen die Niederlande einen Besuch abstattet. Aber auch die Party nach dem Sieg gegen die Elftal, bei der alkoholische Getränke fließen, scheint die Moral der Dänen nur gefördert zu haben. In heutigen Zeiten von Ernährungsberatern, Teamköchen usw. nicht mehr vorzustellen.
1996: Zweites Gruppenspiel der EM 1996: England – Schottland, Spielstand bis zur 78. Minute 1:0, dann bekommt Schottland einen Elfmeter und damit die Chance mit dem Rivalen gleichzuziehen. Doch während sich der Schotte McAllister den Ball zurechtlegt, fliegt über dem Wembley-Stadion ein Helikopter, in dem sich der Magier und Illusionist Uri Geller im Auftrag der englischen Zeitung „News of the World“ befindet. Er soll nämlich durch seine übernatürlichen Kräfte das Spiel zugunsten der Engländer beeinflussen, die auch schon im ersten Gruppenspiel wenig überzeugend waren. Beim Elfmeter sieht er nun seine Chance gekommen und versucht Einfluss auf den Ball zu nehmen. Und tatsächlich, der Schotte macht den Elfmeter nicht rein und auf TV-Bildern ist eine Bewegung des Balles kurz vor dem Schuss zu erkennen (eine andere Erklärung dafür ist natürlich ausgeschlossen).
Nach dem Sieg läuft es dann für England, sie schaffen es bis ins Halbfinale, wo sie erst im Elfmeterschießen gegen Deutschland scheitern.
Später entschuldigt sich Geller sogar noch, da er hier ja illegal auf ein Spiel Einfluss genommen habe.
2008: Elfmeterschießen bei einer Europameisterschaft? Nichts Besonderes, gehört dieser Modus doch in der K.O.- Phase mit zu den spannendsten Momenten, die eine EM zu bieten hat. Dass es in einer Gruppenphase dazu kommen kann, hätten aber wohl die wenigsten erwartet. Tatsächlich gibt es eine Regel der UEFA, die das ermöglicht, wenn beide Mannschaften nach Ende der Gruppenphase punkt- und torgleich sind und dann noch gerade ihr letztes Spiel gegeneinander hatten, also nicht extra fürs Elfmeterschießen anreisen müssen. Und genau das wäre fast bei der EM 2008 passiert, als die punkt- und torgleichen Tschechen und Türken im letzten Spiel der Gruppe A gegeneinander antreten. Erst der Treffer von Nihat Kaveci in der 89. Minute zum 3:2 für die Türkei verhindert das – Schade eigentlich…
2016: Ein Nordire wird weltberühmt bei Fußballfans, obwohl er bei der EM 2016 keinen einzigen Einsatz hat und eigentlich für einen englischen Drittligisten auf Torjagd geht. Geschafft hat das William Grigg oder auch einfach nur Will, wie er in dem Lied genannt wird, das ihm zu unverhoffter Bekanntheit verholfen hat. Gedichtet wurde „Will Grigg´s on fire“ (Melodie „Freed from Desire“) von den Fans von Wigan Athletic, die damit ihren 25-Tore-Stürmer der Saison 2015/16 besingen. Schnell geht das Lied gerade bei den Nordirischen Fans viral, wird von den Anhängern in den Stadien gegrölt und avanciert zu dem Kultsong der EM 2016. Und Will Grigg? Der muss sich das Geschehen während des Turniers von der Bank aus anschauen.
2020/21: Schon bevor das Turnier überhaupt losgeht, hat diese EM schon Geschichten geschrieben wie keine andere. Erst die pandemiebedingte Verschiebung ins Jahr 2021 und jetzt auch noch die Diskussion darüber, wie diese EM ausgetragen werden soll. Denn die UEFA um ihren Präsidenten Aleksander Ceferin forderte von den Austragungsorten Garantien, dass die Spiele vor Zuschauern ausgetragen werden, und schloss Geisterspiele von vornherein aus. Somit die kurioseste (aber leider nicht witzigste) Geschichte zum Abschluss: Zum Redaktionsschluss war geplant, dass in Budapest vor vollem Haus gespielt wird, während in Europa weiter ein gefährliches Virus sein Unwesen treibt.